Wie „funktioniert“ eigentlich Evolution?

Evolu­tion bezeich­net die Verän­de­rung der Arten im Laufe der Zeit. Bis Mitte des 19. Jahr­hun­derts herrschte die Über­zeu­gung, dass alle auf der Erde vorhan­de­nen Arten von Lebe­we­sen „schon immer“ dage­we­sen und, abge­se­hen von gerin­gen Varia­bi­li­tä­ten, unver­än­der­lich seien. Im Jahre 1859 veröf­fent­lichte Charles Darwin sein epocha­les Werk „On the Origin of Species“, in dem er seine Theo­rie zur Entste­hung der Arten darlegte. Mit gerin­gen Anpas­sun­gen gilt sie auch heute noch.

Muta­tio­nen führen zu verän­der­ten Merkmalen

Die Erbsub­stanz aller Lebe­we­sen ist konti­nu­ier­lich klei­nen Verän­de­run­gen unter­wor­fen. Wenn sie sich, z.B. vor der Teilung von Zellen, verviel­fäl­tigt, wird sie nicht immer völlig iden­tisch repro­du­ziert, sondern es treten zuwei­len Abwei­chun­gen (Synthe­se­feh­ler) auf, die prin­zi­pi­ell nicht vermie­den werden können. Man bezeich­net diese als Mutationen.

Diese Abwei­chun­gen bewir­ken, wenn sie an die Nach­kom­men weiter­ge­ge­ben werden, meis­tens keinen Unter­schied. Manch­mal verur­sa­chen sie aber auch kleine oder größere Verän­de­run­gen, z.B. im Stoff­wech­sel, im Ausse­hen oder im Verhalten.

Merk­male unter­lie­gen einer Selektion

Diese Verän­de­run­gen können dem Lebe­we­sen einen Vorteil bieten, sie können aber auch neutral sein oder sogar Nach­teile brin­gen. In den letz­ten beiden Fällen ist die Chance, dass sie sich verbrei­ten, also auf eine Viel­zahl an Nach­kom­men vererbt werden, gering.

Insbe­son­dere wenn die Verän­de­rung mit Nach­tei­len einher­geht, werden die betrof­fe­nen Indi­vi­duen sich gegen­über den Wett­be­wer­bern in ihrer ökolo­gi­schen Umge­bung weni­ger gut durch­set­zen können und zugrunde gehen oder zumin­dest einen gerin­ge­ren Fort­pflan­zungs­er­folg haben. Sind die nega­ti­ven Auswir­kun­gen sehr gravie­rend, führt das zum Ausster­ben der Träger dieser Muta­tion. Bis zur Einfüh­rung der moder­nen Medi­zin galt das auch für nach­tei­lige Muta­ti­ons­er­eig­nisse beim Menschen.

Wenn die durch die Muta­tion bewirk­ten Verän­de­run­gen „neutral“ sind, werden sie im Rahmen der Vermeh­rung des Indi­vi­du­ums ganz normal weiter­ver­erbt. Wenn sie sogar Vorteile brin­gen, hat das betrof­fene Lebe­we­sen eine höhere Wahr­schein­lich­keit, sich zu vermeh­ren und viele Nach­kom­men zu zeugen. Damit wird auch die Muta­tion auf viele Nach­kom­men über­tra­gen. Natur­ge­mäß sind Muta­tio­nen, die posi­tive Auswir­kun­gen haben, sehr viel selte­ner als die mit negativen.

Die Verän­de­run­gen voll­zie­hen sich also keines­wegs gezielt, sondern ganz zufäl­lig und völlig unge­rich­tet. Aller­dings werden sie im Genbe­stand einer Popu­la­tion stabi­li­siert, wenn sie unter den gege­be­nen Umwelt­be­din­gun­gen einen Vorteil, zumin­dest aber keinen Nach­teil brin­gen. Dies bezeich­net man als Selek­tion.

Beispiel 1: Evolution der Eisbären

Nach heuti­gem Wissens­stand führte eine Muta­tion in der Eizelle einer (im seiner­zeit von Schnee und Eis bedeck­ten Irland leben­den) Braun­bä­rin vor ca. 400000 bis 900000 Jahren dazu, dass sie einen Nach­kom­men mit weißem Fell hervor­brachte. Dieser vererbte die Muta­tion an einige seiner Nach­kom­men, diese wiederum an einige der ihren und so weiter. Die weißen Bären hatten gegen­über den brau­nen Bären deut­li­che Vorteile beim Beute­fang, da sie besser getarnt waren und sich besser anschlei­chen konn­ten. Dadurch waren sie besser genährt und insge­samt gesün­der, so dass sie häufi­ger das fort­pflan­zungs­fä­hige Alter erreich­ten und mehr Nach­kom­men zeugen konn­ten als braune Bären. Der durch die Umwelt­be­din­gun­gen der Bären gege­bene Selek­ti­ons­druck förderte also die Verbrei­tung der Muta­tion, die weiße Fell­farbe verur­sachte. Bald lebten in den nörd­li­chen Regio­nen nur noch weiße Bären. (Achtung: Die weiße Fell­farbe ist keine Auswir­kung eines Albi­nis­mus, was an der fast schwar­zen Haut­farbe der Eisbä­ren gut zu erken­nen ist.)

Beispiel 2: Entwicklung des Auges

Die ersten Lebe­we­sen und Einzeller (sie lebten im Wasser der Ozeane) hatten noch nicht die Möglich­keit, hell und dunkel zu unter­schei­den. Irgend­wann entwi­ckel­ten sich in ihrer Zell­mem­bran Prote­ine, die sich bei Licht­ein­strah­lung verän­dern (soge­nannte Photo­pig­mente oder Opsine). Mit ihrer Hilfe konn­ten die Einzeller Hellig­keit wahr­neh­men und sich, wenn die Sonnen­ein­strah­lung stark war, in tiefere Wasser­schich­ten oder schat­tige Regio­nen zurück­zie­hen. Auf diese Weise schütz­ten sie ihre Erbsub­stanz vor der schäd­li­chen UV-Strah­lung, was ihnen einen Selek­ti­ons­vor­teil brachte.
Im weite­ren Verlauf der Evolu­tion sammel­ten sich die licht­emp­find­li­chen Prote­ine an einer Stelle der Zell­mem­bran. Eine solche Konstruk­tion mit Augen­fleck ist bei den einzelli­gen Augen­tier­chen (Euglena) heute noch zu beob­ach­ten. Im Gegen­satz zur zufäl­li­gen Bewe­gung, die die oben erwähn­ten Einzeller in dunk­lere Gefilde brachte, ermög­licht die Konzen­tra­tion der Photo­pig­mente an einem Pol der Zelle eine geziel­tere Bewe­gung weg vom Licht – oder auch hin zum Licht, also in Gebiete, wo Plank­ton und Algen gedei­hen, die dem Tier­chen als Nahrung dienen.

Euglena (Augen­tier­chen). Der Augen­fleck liegt am vorde­ren Zell­pol neben dem Geißel­ap­pa­rat. Während sich das Tier­chen bewegt, rotiert es stän­dig um seine Längs­achse. Dabei beschat­tet der Augen­fleck peri­odisch den neben dem Geißel­säck­chen liegen­den Licht­re­zep­tor. Auf diese Weise kann das Tier­chen die Rich­tung des Licht­ein­falls ermitteln.
Quelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/5/5e/Euglena_gracilis.svg; By Benutzer:SuckXez in der Wiki­pe­dia; Bild wurde später (als SVG, am 31.10.2008, 22:32 MEZ) erneut hoch­ge­la­den [Public domain], via Wiki­me­dia Commons.>/p>

Viele mehr­zel­li­gen Orga­nis­men, darun­ter Qual­len, Seesterne und einige Wurm­ar­ten, besit­zen Flach­au­gen – eine Anzahl flach ange­ord­ne­ter Licht­sin­nes­zel­len, die von einer Seite durch Pigment­zel­len vor Licht­ein­fall geschützt sind.
Eine Vertie­fung der Zell­ober­flä­che im Bereich der Photo­pig­mente, das soge­nannte Becher­auge, ermög­lichte durch den Schat­ten­wurf des Randes eine noch bessere Wahr­neh­mung der Rich­tung, aus der Licht auf das Auge trifft. Wenn nun plötz­lich ein Schat­ten den eben noch beleuch­te­ten Bereich des Pigment­be­chers traf, empfahl sich die gezielte Flucht weg von dem Verur­sa­cher des Schat­tens, der mögli­cher­weise ein Räuber war. Eine solche Konstruk­tion ist heute noch bei vielen wasser­le­ben­den Orga­nis­men vorhan­den, z.B. bei Stru­del­wür­mern und Napfschnecken.
Im Lauf der weite­ren Entwick­lung stülpte sich der Pigment­be­cher immer weiter ein, es entstand ein Loch­ka­me­ra­auge, das zwar sehr licht­schwach war, dafür aber Hellig­keits­un­ter­schiede umso schär­fer wahr­neh­men konnte.
Die Entwick­lung einer gela­tin­ösen Linse im Innern des Auges, die eine Brechung des Lichts beim Eintritt in den Augap­fel bewirkte, ermög­lichte es, auch bei etwas weite­rer Öffnung noch scharf zu sehen – mit dem Vorteil eines insge­samt deut­lich helle­ren Bildes. Augen dieses Bauplans sind heute sehr weit verbrei­tet – unter ande­rem erfreuen wir Menschen uns daran.

Auf jeder Stufe der Entwick­lung brachte das „Auge“ seinem Besit­zer also Vorteile, die zu höhe­rem Fort­pflan­zungs­er­folg und damit zur Stabi­li­sie­rung des jewei­li­gen Status quo in der Popu­la­tion führ­ten. Dieser wiederum bildete die Basis für neue, fort­schritt­li­chere Entwicklungen.
Aller­dings war die Augen­ent­wick­lung kein linea­rer Prozess, sodass verschie­dene Tier­grup­pen unter­schied­li­che Augen entwi­ckelt haben, die zwar prin­zi­pi­ell ähnlich funk­tio­nie­ren, aber nicht exakt gleich aufge­baut sind oder aus den glei­chen Embryo­nal­ge­we­ben hervor­ge­hen. So ist das Kopf­füß­ler­auge (Kraken, Poly­pen) dem Säuge­tier­auge deut­lich über­le­gen, obwohl es entwick­lungs­ge­schicht­lich älter ist. Man spricht in solchen Fällen von „konver­gen­ter Evolu­tion“.

Augen­ty­pen bei Weich­tie­ren. Sie reprä­sen­tie­ren verschie­dene evolu­tio­näre Stufen der Augenentwicklung.
Quelle: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:Stages_in_the_evolution_of_the_eye_(de).png&filetimestamp=20080518115135#filelinks

Verän­de­run­gen der Erbsub­stanz finden also stän­dig und über­all statt, und daraus entste­hende Merk­male unter­lie­gen einer Selek­tion. Insbe­son­dere verän­derte Umwelt­be­din­gun­gen erhö­hen den Selek­ti­ons­druck auf Orga­nis­men. Beispiele sind Klima­ver­än­de­run­gen (infolge von Eiszei­ten, Vulkan­aus­brü­chen, Metero­ri­ten­ein­schlä­gen), aber auch Verän­de­run­gen der ande­ren, im selben Lebens­raum vorkom­men­den Lebe­we­sen, die im Wett­be­werb um diesel­ben Ressour­cen stehen oder zu deren Nahrung ein Orga­nis­mus gehört.

Entste­hung neuer Arten

Zunächst entste­hen durch solche Verän­de­run­gen jedoch noch keine neuen Arten, sondern ledig­lich Varie­tä­ten. Zur Entste­hung einer neuen Art kommt es erst, wenn die Indi­vi­duen verschie­de­ner Varie­tä­ten sich nicht mehr mitein­an­der fort­pflan­zen können (Inkom­pa­ti­bi­li­tät). Dies kann auf sehr verschie­de­nen Mecha­nis­men beru­hen, die prin­zi­pi­ell zu einer der beiden folgen­den Situa­tio­nen führen:

  1. Eine Eizelle der einen Varie­tät kann nicht von einer Samen­zelle der ande­ren Varie­tät befruch­tet werden – es entsteht also keine Zygote.
  2. Eine Befruch­tung ist zwar möglich, aber aus der Zygote entsteht entwe­der kein lebens­fä­hi­ger Orga­nis­mus, oder der Orga­nis­mus lebt zwar, ist aber seiner­seits nicht zur Fort­pflan­zung fähig.

Der erste Fall ist zum Beispiel gege­ben, wenn sich bei zwei Varie­tä­ten einer Pflan­zen­art der Zeit­punkt der Blüte so stark verscho­ben hat, dass die weib­li­chen Blüten der einen Varie­tät bereits verblü­hen, bevor die Pollen der ande­ren reif sind. Beispiele aus dem Tier­reich sind Verän­de­run­gen im Balz­ver­hal­ten oder der Fort­pflan­zungs­or­gane, die dazu führen, dass Tiere sich nicht mehr mitein­an­der paaren wollen oder können.

Ein bekann­tes Beispiel für den zwei­ten Fall ist das Maul­tier (es entsteht bei der Kreu­zung eines männ­li­chen Esels mit einem weib­li­chen Pferd) oder der Maul­esel (weib­li­cher Esel und männ­li­ches Pferd) – beide können (meist) selbst keine Nach­kom­men mehr zeugen. In den meis­ten Fällen gehen die aus inkom­pa­ti­blen Ei- und Samen­zel­len hervor­ge­gan­ge­nen Orga­nis­men aber sehr früh­zei­tig zugrunde, beispiels­weise infolge von Störun­gen der Chro­mo­so­men­ver­tei­lung bei den ersten Zellteilungen.

Solange sexu­elle Inter­ak­tio­nen zwischen den neuen poten­zi­el­len Arten bestehen, kommt es nur in Ausnah­me­fäl­len zur Bildung neuer Arten. Geogra­phi­sche Isola­tion fördert diesen Prozess. Dies ist z.B. der Fall, wenn Land­brü­cken zwischen Inseln oder gar Erdtei­len über­flu­tet werden (bei Land­le­be­we­sen) oder umge­kehrt, wenn flache Meeres­ab­schnitte verlan­den (bei Fischen und ande­ren Meeresbewohnern).

Beson­ders in der Folge der großen Massen­aus­ster­ben in der Erdge­schichte kam es zur massi­ven Bildung neuer Arten: Diese waren besser an die verän­der­ten Bedin­gun­gen, die das Ausster­ben auslös­ten, ange­passt – und sie konn­ten die frei werden­den Lebens­räume und ökolo­gi­schen Nischen besetzen.

Entwick­lung der Arten­viel­falt in den letz­ten 600 Millio­nen Jahren auf Basis der Unter­su­chung fossi­ler Meeres­or­ga­nis­men. Nach jedem Massen­aus­ster­ben stieg die Arten­zahl vergleichs­weise rasch an.
Quelle: http://www.oekosystem-erde.de/html/massenaussterben.html. Die Darstel­lung ist verän­dert nach der engli­schen Wiki­pe­dia (http://en.wikipedia.org/wiki/Biodiversity, einge­se­hen am 2.3.2007) und beruht auf Daten von Rohde, R.A. & Muller, R.A. (2005): „Cycles in fossil diver­sity“. Nature 434: 209–210. Lizenz: GFDL.

Solche Artbil­dungs­pro­zesse voll­zie­hen sich übri­gens sehr lang­sam. So geht man davon aus, dass zwischen der Entste­hung einer Varie­tät bis zur tatsäch­li­chen Abspal­tung einer neuen Art mehrere Jahr­zehnte bis zu Millio­nen Jahre verge­hen – je nach dem, wie rasch die Gene­ra­tio­nen aufein­an­der folgen und wie die Wech­sel­wir­kun­gen im Orga­nis­mus und mit der Umge­bung sind.

Wir fassen zusammen

Evolu­tion ist kein ziel­ge­rich­te­ter Prozess, sondern Varia­tio­nen entste­hen durch zufäl­lige Verän­de­run­gen im Genom von Indi­vi­duen. Durch Umwelt­be­din­gun­gen werden vorteil­hafte Verän­de­run­gen begüns­tigt (Selek­tion) und vermeh­ren sich, in dem sie an viele Nach­kom­men vererbt werden. Führen die Verän­de­run­gen dazu, dass Indi­vi­duen einer Varie­tät sich nur noch unter­ein­an­der, aber nicht mehr mit ande­ren Varie­tä­ten fort­pflan­zen können, ist eine neue Art entstan­den. [MM]

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